„Digitalisierung bedeutet für viele Betriebe eine neue Art zu arbeiten.“
Viele digitale Lösungen haben sich in der Landwirtschaft bereits etabliert. Andere werden bislang vor allem durch fehlende Spezialisten und Schulungsangebote ausgebremst. Prof. Patrick Noack ist Leiter des Kompetenzzentrums für Digitale Agrarwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf. Er forscht seit über 20 Jahren zu den Potenzialen von neuen Technologien in der Landwirtschaft. Im Interview berichtet er von derzeitigen Hemmnissen und zukünftigen Potenzialen für die Digitaltechnik im Ackerbau.
Digitaltechnik wird in der Landwirtschaft bereits vielfältig eingesetzt, darunter automatisierte Lenksysteme sowie Sensoren zur Messung des Nährstoffgehalts oder der Temperatur im Boden (siehe hierzu auch unsere Interviews mit Prof. Griepentrog sowie Prof. Ruckelshausen). Welche weiteren digitalen Lösungen haben sich in den vergangenen Jahren in der Praxis etabliert – vor allem im Hinblick auf den integrierten Pflanzenbau?
Durchgesetzt haben sich bisher vor allem die Technologien, die von Boden und Kultur unabhängig sind und einfache Entscheidungen treffen (links/rechts, an/aus). Hier sind einerseits die Lenksysteme zu nennen, mit denen Überlappungen und Fehlstellen weitestgehend vermieden werden, sodass vor allem im Pflanzenschutz die Wirkstoffe optimal eingesetzt werden können.
Prof. Dr. Patrick Noack, Leiter des Kompetenzzentrums für Digitale Agrarwirtschaft an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf
Aber auch die Teilbreitenschaltungssysteme, die einzelne Teilbreiten oder Düsen von Pflanzenschutzspritzen automatisch ein- und ausschalten, sind in ihrer Wirkung nicht zu unterschätzen, vor allem auf kleinen und unregelmäßig geformten Schlägen. Richtig angewendet können sie sogar für die automatische Einhaltung von Abstandsauflagen genutzt werden (z. B. mithilfe von PAM und OPAL).
Hochinteressant ist auch die automatische Erkennung von Beikräutern auf Bildern. Sie stellt die Grundlage für das Spot Spraying dar, mit dem Pflanzenschutzmittel nur dort ausgebracht werden, wo eine Notwendigkeit besteht. In diesem Zusammenhang sind auch neue Ansätze zur Messung der Biodiversität relevant, mit denen die Wirkung von Maßnahmen besser beurteilt werden kann.
Läuft die Implementierung digitaler Präzisionslandwirtschaft in der Geschwindigkeit, die Sie erwartet haben? Welche Herausforderungen gibt es bei der Umsetzung digitaler Tools für Landwirtschaftsbetriebe?
Gerade bezüglich der teilflächenspezifischen Bewirtschaftung (Aussaat, Düngung) sind aus pflanzenbaulicher Sicht noch viele Fragen offen. Neben den pflanzenbaulichen Herausforderungen ist die Technik an der einen oder anderen Stelle noch nicht ausgereift oder zu kompliziert zu bedienen.
Meine Beobachtung ist, dass die meisten Landwirte auf Unterstützung durch Spezialisten angewiesen sind, wenn sie die Technologien effizient einsetzen wollen. Und von den Spezialisten gibt es zu wenige.
Wir müssen uns die Betriebe mit ihrer Ausstattung (Personal, Maschinen, Fläche) genau ansehen und dann entscheiden welche Technologie geeignet ist, um das Arbeiten zu vereinfachen.
Woran liegt es, dass die bereits vorhandenen digitalen Lösungen in der Landwirtschaft nicht flächendeckend umgesetzt werden?
Ausgewählte Lösungen werden (fast) flächendeckend und unabhängig von der Betriebsgröße genutzt: dazu gehören Lenksysteme und Teilbreitenschaltungen. Woran es fehlt sind Schulungen und die Unterstützung bei praktischen Problemen. Digitalisierung bedeutet für viele Betriebe eine neue Art zu arbeiten. Hierbei ist Begleitung unerlässlich.
Bei welchen digitalen Lösungen sehen Sie selbst das vielversprechendste Potenzial?
Die künstliche Intelligenz kann in Zukunft sicherlich viel dazu beitragen, dass Entscheidungen einfacher und besser getroffen werden können. Ein gutes Beispiel sind Chatbot-basierte Beratungssysteme („ChatGPT“), die mit gesetzlichen Auflagen und Verordnungen gefüttert, einfache Antworten auf einfache Fragen geben können.
Wenn eine Zusammenarbeit bei der Erfassung von Daten für das Training von KI gelingt (z. B. globale Bilddatenbank mit Unkräutern), kann die Fehlerrate zukünftig wahrscheinlich erheblich reduziert werden: die Modelle werden dann gut und stabil, wenn ihnen sehr viele und korrekte Datensätze „gezeigt“ werden.
KI ist dann stark, wenn die Daten eine für den Menschen nicht mehr übersehbare Vielfalt annehmen. Durch das Verschneiden von Wetter- und Bodenfeuchtemesswerten, Satellitenaufnahmen und Bewirtschaftungsdaten aus Ackerschlagkarteien könnte eine neue Datenquelle für die Beratung abgeleitet werden.
Ein Blick in die Glaskugel: Wie wird sich die Digitalisierung in der Landwirtschaft in den nächsten fünf Jahren weiterentwickeln?
Es muss gelingen, den Mehrwert neuer Lösungen zu vermitteln, die Komplexität zu reduzieren und die Unterstützung von Landwirten auszubauen, damit die Situation nicht stagniert.