Dank Digitalisierung zurück zu den Wurzeln

Drohnen erkennen aus der Luft per Infrarotaufnahme Pflanzenkrankheiten. Traktoren fahren dank GPS-Steuerung schnurgerade über den Acker. Roboter melken Kühe und zupfen Unkraut. Pflanzenschutz und Digitalisierung sind in der Landwirtschaft eng miteinander verwoben und haben zu massiven Veränderungen der Arbeitsprozesse geführt.

Prof. Dr. Hans W. Griepentrog vom Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim ist Experte für Landwirtschaft 4.0. Im Interview erklärt er, warum die Branche – ganz im Gegensatz zum Klischee vom in der Tradition verhafteten Landwirtinnen und Landwirte – Vorreiter im Bereich der Digitalisierung ist und warum Landwirtinnen und Landwirte dank der aktuellen Entwicklungen in Zukunft wieder mehr Zeit haben werden, in Ruhe über den Acker zu laufen.

Prof. Dr. Hans W. Griepentrog vom Institut für Agrartechnik der Universität Hohenheim ist Experte für Landwirtschaft 4.0.
(Foto: Universität Hohenheim)

Herr Prof. Dr. Griepentrog, digitale Techniken bestimmen mehr und mehr die Landwirtschaft. Wie müssen wir uns die Branche in 20 bis 30 Jahren vorstellen: Muss die Ackerbäuerin oder der Ackerbauer dann gar nicht mehr aufs Feld, sondern sitzt in einer Art Steuerzentrale, von der aus er nur noch die Apps und automatisierten Maschinen bedient und überwacht?
Nein, hier können wir tatsächlich sehr deutlich sagen: Die Landwirtin oder der Landwirt wird auch in 20 Jahren mit Sicherheit noch übers Feld laufen. In der Landwirtschaft findet ja alles im Freiland statt. Es kommt zu einer gewissen Automatisierung, aber nicht so, wie wir sie beispielsweise in der Automobilindustrie sehen. Dort kann man alle äußeren Bedingungen vorgeben und dafür sorgen, dass konstant die gleiche Beleuchtung und die gleiche Temperatur herrschen. In der Landwirtschaft ist das anders – hier kann schon ein einziger Regenschauer die Situation komplett verändern. Die Digitalisierung der Landwirtschaft wird weiter voranschreiten und es wird eine Menge Veränderungen geben. Aber die in der Landwirtschaft arbeitenden bleiben im Zentrum. Die Technik unterstützt, aber die Landwirtin oder der Landwirt bleibt sozusagen die letzte Instanz, er trifft die wichtigen Entscheidungen.

 

Die Branche hat, besonders in der Landtechnik, schon früh auf digitalisierte Prozesse gesetzt, gilt als Treiber der Digitalisierung. Ist die Landwirtschaft als Wirtschaftssektor prädestiniert für die Entwicklungen der Industrie 4.0?
Ja, das kann man so sagen. Im Vergleich zu anderen Branchen ist die Landwirtschaft schon viel weiter. Hier funktionieren schon ganze Produktionssysteme automatisiert. Das hat mit der hohen Komplexität der Branche in Kombination mit Zufallseffekten zu tun. Die Branche hat ein besonderes Interesse daran, Zufallseffekte besser unter Kontrolle zu bekommen. Bestes Beispiel ist das Wetter: Ohne digitalisierte Prozesse können wir nur schwer absehen, ob wir in den nächsten Wochen ausreichend Regen bekommen. Je mehr Informationen die Landwirtin oder der Landwirt zur Verfügung hat, umso besser lassen sich die Parameter beschreiben, mit denen er umgehen muss, um erfolgreich arbeiten zu können. Und die IT, die Technik, die Digitalisierung helfen dabei, dass mehr Informationen permanent zur Verfügung stehen.

Was noch vor wenigen Jahren wie Zukunftsmusik klang, ist in der Landwirtschaft inzwischen etablierte Praxis. Können Sie einige ganz konkrete Beispiele geben: Was ist dank Digitalisierung schon möglich? Ein schönes Beispiel ist die Spargel-App eines namhaften Herstellers. Da werden Bodentemperatursensoren in den Spargeldämmen installiert. Die Temperaturdaten landen über eine mobile Datenverbindung auf einem Server. Eine Software errechnet die Temperatursummen für einen längeren Zeitraum. Die Temperatur beeinflusst ja das Wachstum des Spargels – bei entsprechender Wärme kann die Pflanze in einer Woche so viel wachsen wie sonst in drei Wochen. Über die App bekommt die Landwirtin oder der Landwirt dann aufs Smartphone das Signal, wann er den nächsten Spargel stechen kann. Oder auch, wann er die Dämme mit Folie abdecken sollte, um den Spargel vor kühleren Temperaturen zu schützen. Das ist ein Beispiel für etablierte Digitaltechnik, die mit Sensoren, Cloud-Systemen und Analyse-Software arbeitet.

 

Welche Beispiele gibt es noch, was könnte dem Laien zum Beispiel mit eigenen Augen auffallen?
Wenn man über die Autobahn fährt, lässt sich auf den umliegenden Feldern oft die ganz exakte Bearbeitung entlang schnurgerade durchzogener Fahrgassen erkennen. Auch da steckt Digitalisierung dahinter: Über automatisierte Lenksysteme, die über GPS-Daten funktionieren, kann die Landwirtin oder der Landwirt das Feld viel exakter bearbeiten. Da er nicht mehr nur nach Sicht befahren und per Augenmaß abschätzen muss, wo er schon Dünger oder Pflanzenschutzmittel ausgebracht hat, kommt es nicht mehr dazu, dass er Teile des Felds aus Versehen doppelt befährt oder ausspart.

 

Welche Vorteile ergeben sich durch die digitale Landwirtschaft für die Landwirtin oder den Landwirt?
Passend zum Beispiel mit den automatisierten Lenksystemen: Das ist für die Landwirtinnen und Landwirte ein riesiger Vorteil, weil es ihnen nicht nur Zeit und Energie in Form von Diesel spart, sondern auch Betriebsmittel wie Dünger oder Pflanzenschutzmittel. Dadurch verbessern sie ihre ökonomische Bilanz. So auch im Fall von Online-Sensorik: Hier wird in Echtzeit gemessen, was der Boden an Nährstoffen braucht oder welchen Risiken die Pflanzen gerade ausgesetzt sind – und entsprechend genau kann dann der Dünger oder der Pflanzenschutz dosiert werden. In einigen Fällen bringt Digitalisierung auch Entlastung mit sich – zum Beispiel, wenn die Landwirtin oder der Landwirt nicht mehr täglich um 5 Uhr morgens zum Melken aufstehen muss, weil der Roboter das übernimmt. Außerdem kann die Landwirtin oder der Landwirt wie gesagt unkontrollierbare Zufallseffekte wie das Wetter zumindest besser kontrollieren.

 

Sie sagen, die Landwirtin oder der Landwirt wird auch in Zukunft die letzte Instanz und immer wichtig bleiben. Trotzdem muss sich seine Rolle im Betrieb doch verändern, wenn die Digitalisierung die Arbeitsabläufe so stark verändert.
Der Landwirtinnen und Landwirte wird aus meiner Sicht in Zukunft wieder mehr Zeit für das Wesentliche haben. Dadurch, dass die Apps und Maschinen Arbeitsabläufe erleichtern und zum Teil automatisiert übernehmen, wird er wieder mehr Zeit haben, einfach mal über den Acker zu laufen und ein Gefühl dafür zu bekommen, was auf seinem Feld und in der Natur passiert. Es ist ja so, dass wir historisch gesehen bisher immer die Natur der Technik angepasst haben. Zum Beispiel im Obstbau: Hier haben wir nur deswegen Reihenkulturen, weil die Mechanisierung sonst nicht möglich ist. Die Bäume müssen alle in gleichem Abstand aufgereiht stehen, weil die technischen Geräte sonst nicht durchfahren und alles synchron bearbeiten können. Ich gehe davon aus, dass die Digitalisierung hier zu einem kompletten Paradigmenwechsel führen wird, die Biologie wird wieder im Zentrum stehen. Wir werden Kulturen so etablieren, wie es aus biologischer Sicht sinnvoll ist. Und dann werden wir uns die dazu passende digitale Technik für die Mechanisierung aussuchen können.

 

Wo liegen Ihrer Meinung nach Hemmnisse für die Digitalisierung der Landwirtschaft? Welche Herausforderungen müssen bewältigt werden, damit die Entwicklung weiter Fahrt aufnimmt und die Landwirschaft bestmöglich profitiert?
Ein großes Thema sind die schlechten Datenverbindungen auf dem Land. Es wird jetzt immer über 5G geredet – in vielen Bereichen, ob im Schwarzwald oder in Mecklenburg-Vorpommern, haben wir nicht einmal 3G. Dort kann man nicht einmal mobil telefonieren. Wenn wir die Vorteile der Digitalisierung wirklich nutzen wollen, brauchen wir überall gute Internetverbindungen und gute Datenverbindungen. Die angesprochene Spargel-App bringt überhaupt nichts, wenn die Sensoren die gesammelten Daten gar nicht übertragen können. Ein weiteres Hemmnis ist die Ausfallsicherheit. Die Landwirtschaft gehört, wie zum Beispiel die Bereiche Energie oder Verteidigung, zur kritischen Infrastruktur. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik identifiziert diese Bereiche, die auch im Krisenfall laufen müssen – und das heißt nicht nur im Fall von Krieg und Naturkatastrophen, sondern auch im Falle gezielter Hackerangriffe. Die Landwirtschaft muss weiter funktionieren, auch wenn Hackerangriffe auf digitalisierte Prozesse abzielen, denn an der Branche hängt letztlich die Versorgung der Bevölkerung.

 

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Prof. Dr. Griepentrog.